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Das Krankheitsbild
Für die meisten Menschen ist die fremde oder auch eigene Erkrankung an einer Demenz ein Schreckgespenst. „Es ist eine traumatische Erfahrung zu wissen, dass der Körper den Geist überleben wird“, beschreibt Diana Friel Mc Gowin (Seite 141) zu Beginn ihrer demenziellen Erkrankung ihr Erleben. Und damit hat sie sicherlich Recht. Dies gilt aber insbesondere dann, wenn der Wert eines Menschen an seiner geistigen Leistungsfähigkeit gemessen wird, wie das in unserer leistungsorientierten und rational geprägten Welt üblich ist. Dass wir alle immer auch angewiesen auf andere Menschen sind, wird schnell ausgeblendet.
Menschen mit Demenz aber müssen damit zurecht kommen, dass sie im Verlauf der Erkrankung in eine immer größere Abhängigkeit geraten. Das ist natürlich schwer zu ertragen, weil es in vielen Fällen bedeutet, dass sie nicht mehr ernst genommen werden, z. B. wie ein Kind behandelt werden. Wie furchtbar ist es, wenn andere über unseren Kopf hinweg über uns reden und wir den Eindruck haben müssen, dass man über uns bestimmen will. So kommt es schnell dazu, dass sich Menschen mit Demenz in ihrem Personsein bedroht fühlen und sich intuitiv gegen diese Entwertung wehren. Das wiederum wird als krankheitsbedingte Uneinsichtigkeit und nicht als berechtigte Angst interpretiert. Damit ist dann den Betroffenen – und letztendlich auch dem Umfeld – die Annahme und Gestaltbarkeit der Erkrankung verwehrt.
„Wie soll ich den Rest dieser Reise ins Ungewisse überstehen, ohne einen Menschen zu haben, der mich durch dieses Labyrinth begleitet, ohne den Händedruck eines Mitreisenden, der mein Bedürfnis etwas wert zu sein, wirklich versteht?“, schreibt die oben bereits genannte Demenzbetroffene Diana Friel Mc Gowin weiter (S. 141). Den „Teufelskreis der Entwertung“, der oftmals im Laufe der Demenzerkrankung eintritt, zu durchbrechen ist nur dann möglich, wenn wir das noch herrschende fatalistischdeterministische Krankheitsverständnis hinterfragen. Wirklich verstehen können wir diese Erkrankung nur, wenn wir das Abhängigkeitserleben so weit als möglich mit den Erkrankten teilen, ihre Hilflosigkeit mit aushalten und ihr „Grundbedürfnis nach Geltung“ auch in der Erkrankung sichern helfen. Dann gibt es hoffentlich „am Ende des Gedächtnisses eine andere Art zu leben“(Agneta Ingberg, siehe Literaturangaben unten). Und eine würdigere dazu.
Die in der Wissenschaft betriebene „objektorientierte“ Demenzforschung sprach von einer „uniformen Alzheimerpersönlichkeit“, indem sie einseitig den Verfall beschrieben hat. Damit hat sie aber letztlich nur das Negativbild und die Ängste vor dieser Erkrankung zementiert. Die noch junge „subjektorientierte“ Demenzforschung stellt die Perspektive der Betroffenen ins Zentrum, versucht deren Innenwelten verständlich zu machen und eröffnet uns allen Gestaltungsmöglichkeiten für ein „Leben mit Demenz“.
Quellen:
- Udo Baer: Innenwelten der Demenz. Das SMEI-Konzept. Eine leibphänomenologische Untersuchung des Erlebens demenzkranker Menschen und der Entwurf einer Begleitung, die ihr Erleben würdigt, Verlag Affenkönig (Neukirchen-Vlyn) 2007.
- Diana Friel Mc Gowin: Wie in einem Labyrinth (Autobiografie), Knaur Verlag (München) 1994.
- Elisabeth Stechl: Subjektive Wahrnehmung und Bewältigung der Demenz im Frühstadium. Verlag Dr. Köster (Berlin) 2006.
- Birgitta Andersson: Am Ende des Gedächtnisses … gibt es eine andere Art zu leben. Agneta Ingberg, 58: Mein Leben mit Alzheimer. Brunnen-Verlag, 2007.
